Cosmas und Damian / Kyrill und Method

23.10.2006
Zu Bazon Brocks Edition „Kyrill & Method“

1974 stellt Joseph Beuys die New Yorker Twin Towers als „Cosmos und Damian“ dar – den in der Schreibweise imperialisierten Cosmas und dessen Zwillingsbruder Damian aus Ägea, die im dritten Jahrhundert kostenlos Kranke heilen und dadurch von ihrem christlichen Glauben überzeugen – bevor sie als Schamanen geköpft und als Wunderheiler heilig gesprochen werden. Das syrische Ärztepaar markiert den Beginn der Geschichte des Zusammenhangs von (medizinischer) Heilung und (theologischem) Heilsversprechen – eine Geschichte, die Joseph Beuys und Bazon Brock fortschreiben, auch in gemeinsamen Happenings und Aktionen der 1960er und 70er Jahre.

Was Cosmas und Damian für Beuys, sind Bazon Brock die 827 und 820 in Saloniki als Konstantin und Michael getauften bulgarischen Brüder Kyrill und Method. Kyrill, der Philosoph und Erfinder des Glagolitischen Alphabets (Kyrillische Schrift), und Michael, der sich als christlicher Missionar den Namen Method (gr. méthodios: „der Weg auf ein Ziel hin“) gab. Für Brock stehen die beiden „Kulturheroen“ für das Prinzip „Heil und Heilung“ durch Schrift und die Methode ihres Lehrens bzw. als symbolische Repräsentation und methodisches Arbeiten. Für Beuys bedeutet Fett das Heilmittel (für die Verletzungen durch den Kapitalismus).

Als „komische Heilige“ angesehen, begegneten und begegnen die heutigen Kulturheroen Beuys und Brock dem Vorwurf des Schamanentums mit der Selbstlegitimation als „Zivilisationsagenten“, die ebenso wie die „Götter in Weiss“ mit dem Placeboeffekt arbeiten: mit wirkstoffloser Arznei, die ihre gute Wirkung – im Gegensatz zu Produkten der Pharmaindustrie – medizinisch, ökologisch und ökonomisch vertretbar erbringen. 1965 demonstriert Bazon Brock mit Joseph Beuys und Gerhard Merz in der Galerie Parnass, Wuppertal, eine Untersuchung zum erkenntnistheoretischen Modell des Placebos. Hier formuliert er das Paradoxon, dass alles, was wirkt, schädlich, und jede Heilung mit dem Eingehen eines Risikos zur Schädigung verbunden ist. Als Nachwirkung dieses Happenings registrieren wir den über eine Abgeordnete im Bundestag eingebrachten und seit 1994 per Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Pflichthinweis für Medikamente: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Eine Maxime, nach der laut Brock schon Cosmas und Damian oder Kyrill und Method gewirkt haben. Eine Entgegensetzung der Alltagslogik, wie sie nur Künstler und Philosophen erfinden und formulieren können.

Der Theoremkomplex „Heil und Heilung – Schrift und Methode“ ist Thema in den Action Teachings „Lustmarsch durchs Theoriegelände – Ästhetik einer schweren Entdeutschung“, die Bazon Brock 2006 mit Siebzig in neun Städten Deutschlands sowie in Päffikon und in Graz unternimmt. Begleitend erscheint das Multiple „Kyrill & Method“ in Form eines zweifarbigen Kopierstiftes; montiert auf dem Faksimile einer mit einem solchen Stift blau-rot dokumentenecht getätigten Handschrift von Bazon Brock.

P.S.: Kopierstifte der 1821 gegründeten Regensburger Bleistiftfabrik J. J. Rehbach hießen „Kosmos“ – folgten wie weise dem usprünglich philosophischen Ordnungs- und Gestaltungsbegriff.
P.P.S: In den 1820er Jahren begeistert Alexander von Humboldt die Berliner mit seinen weltanschaulichen „Kosmos-Vorlesungen“. Diese frei, ohne schriftliche Grundlage gehaltenen Vorträge stellen wir uns in Weise und Wirkung vor wie „Schwätzer“ Brocks Action Teachings.

(PF)